Charlotte Day Wilson ist in der Lage, aus einem winzigen Moment ein ganzes Leben voller Gefühle entstehen zu lassen. Das liegt nicht nur daran, dass ihre warme Stimme an die Jazz-Phrasierungen klassischer Torch-Sängerinnen erinnert - also an jene Stimmen, die den großen Balladen Leben und Gefühl einhauchen. Oder daran, dass ihre schwelenden Hymnen methodisch ausufern, so dass ihre Emotionen noch lange nach dem Ende des Songs nachklingen. Aber im Laufe ihrer Karriere hat die in Toronto geborene und aufgewachsene Sängerin, Songwriterin, Produzentin und Multiinstrumentalistin eine meisterhafte Fähigkeit entwickelt, moderne Klagen mit einem Gefühl der Zeitlosigkeit zu verpacken und damit Zuhörer über Generationen hinweg zu fesseln. "Cyan Blue", ihr Debütalbum bei XL Recordings, das am 3. Mai erscheint, zeigt die nächste Entwicklung von Wilsons Songwriting. In 13 hypnotisierenden Tracks nutzt sie die Musik als ein Gefäß, um Beziehungen Lage um Lage herauszuschälen, was ihr wiederrum erlaubt, sich selbst in einem lebensumspannenden, Panorama-Fokus zu begegnen und zu verstehen. Der Kern des Albums liegt im Titeltrack, in dem Wilson ihr jüngeres Ich in einem Grenzbereich zwischen Traum und Realität, damals und heute, anspricht. "I wish I could see through your eyes / One more time", singt sie. Mit diesen ungeschminkten Worten lässt sie die Schönheit und Frustration der Vergangenheit, die brennende Unmittelbarkeit der Gegenwart und die Möglichkeit der Zukunft in einem Schlag zusammenfallen. Auch auf "Cyan Blue" webt Wilson einen geschmeidigen Teppich aus pochendem Gospel-Piano, warmen Soul-Bässen, atmosphärischer Elektronik und durchdringenden R&B-Melodien. Und doch hat das Album eine Weite, die eine neue Ära für Wilson einläutet, eine Ära, in der sie die Zusammenarbeit und eine neu entdeckte, kreative Offenheit begrüßt. Abgesehen von einigen wenigen Kollaborationen hatte sie ihre vorherigen Projekte - "CDW" (2016), "Stone Woman" (2018) und ihr Debütalbum "Alpha" (2021) - weitgehend selbst produziert und dabei teils zwanghaft bis zu 14 Versionen desselben Songs erstellt. Dieses Mal hat sie sich selbst herausgefordert, ihre perfektionistischen Tendenzen zu überwinden und das Album innerhalb von ein paar Monaten fertigzustellen.